Stringintelligenz – Wozu das Ganze?

Was will das Projekt?

Ziel des des Projekts „Stringintelligenz“ ist es, das sogenannte „generische Maskulinum“ für Personen (oder Begriffe, die als Personen verstanden werden können), im deutschsprachigen User Interface von WordPress durch gender-neutrale bzw. gender-sensible Formulierungen zu ersetzen.

Beispiele für personenbezogene generische Maskulina in WordPress wären Begriffe wie:

  • Benutzer
  • Autor
  • Administrator
  • Künstler
  • Anbieter
  • Freund
  • Fahrradkurier

Weitere Beispiele wären Komposita wie:

  • benutzerdefiniert
  • Benutzerrolle
  • Benutzerliste

Im Gegensatz zu personenbezogenen Begriffen geht es ganz klar nicht um generische Maskulina für Sachen, wie z.B. „der Computer“. Obwohl mit „Computer“ ursprünglich mal rechnende Menschen gemeint waren, meint der Begriff im allgemeinen Verständnis heute eindeutig eine Sache.

Wie viele Strings wurden bearbeitet?

(Die folgenden Zahlen beziehen sich auf die de_DE-Version und stammen aus einer Beta von 4.6. Geringfügige Abweichungen zum aktuellen Stand sind nicht auszuschließen.)

Abbildung der im nachfolgenden Text aufgeführten Zahlen als Kuchen-Diagramm

Generisches Maskulinum in WordPress 4.6 (nur de_DE)

WordPress hat 4 Sprachdateien, von denen für unseren Kontext lediglich 3 relevant sind; die vierte enthält nur Kontinente und Städte – also kein personenbezogenes generisches Maskulinum, das uns interessieren würde.

Unsere 3 relevanten Sprachdateien enthalten insgesamt 4.710 Strings.
Von diesen insgesamt 4.710 Strings enthalten 395 ein personenbezogenes generisches Maskulinum.

Wiederum 285 Strings dieser 395 betroffenen Strings enthalten das Wort „Benutzer“ oder eins seiner Komposita.

Die genaue Verteilung sieht so aus:

  • 158 x Benutzer
  • 71 x Benutzername
  • 26 x benutzerdefiniert
  • 13 x Benutzerkonto
  • 11 x Benutzerrolle
  • 6 x Benutzerliste
  • 110 x sonstige

In Prozent ausgedrückt:

  • 8% aller vorhandenen Strings wurden für Stringintelligenz bearbeitet.
  • 72% dieser 8% befassen sich mit dem Wort „Benutzer“ oder daraus zusammengesetzten Wörtern.

Warum ein Gender-Star?

Für 50 Strings (1% des Gesamtvolumens) haben wir bisher keine neutralen Übersetzungen gefunden. Der Großteil davon befindet sich in Hilfetexten; die prominentesten Vorkommen sind die Rollenbezeichnungen auf der „Benutzer“-Seite: Administrator, Redakteur, Autor, Mitarbeiter, Abonnent. Der Begriff „Autor“ kommt außerdem in diversen Filter-Funktionen vor.

Für diese 50 Strings haben wir vorerst auf Endungen mit Gender-Star zurückgegriffen. Aus „Autor“ wurde „Autor*in“.

Wie schon im Foren-Sticky erwähnt:

📢  Die Wahl des Gender-Stars ist momentan eine vorläufige.

Wir sind dabei, Feedback zu technischen Aspekten (Screen-Reader etc.) der verschiedenen möglichen Endungen einzuholen. Ob es von Projekt-Seite beim Vorschlag des Gender-Stars für die betroffenen 1% Strings bleibt, oder ob wir noch auf einen Gender-Gap oder andere Lösungen ausweichen (sollten), darf gerne im Forum diskutiert werden.

Mir persönlich wäre eine 100%ige Lösung ohne „Gender-Endung“ theoretisch am liebsten – noch wichtiger ist mir allerdings eine leichte, intuitiv verständliche Sprache, und dazu tragen die Endungen mit Gender-Star m.E. in der aktuellen Fassung bei. Die Suche nach Alternativen, etwa für die Rollenbezeichnung „Autor“, endete für mich bisher in suboptimalen Ersetzungen, die das Verständnis erschwert hätten. Nur allzu gerne ließe ich mich durch ein gelungenes Ersetzungskonzept für die Rollenbezeichnungen eines Besseren belehren; soll heissen: natürlich darf auch speziell hierzu gerne weiter diskutiert werden – wie z.B. in diesem Topic.

Was ist überhaupt das Problem?

„Das Problem am generischen Maskulinum ist natürlich, dass es ein ganz normales Maskulinum ist, dass also nie klar ist, ob nur Männer oder eben Männer und Frauen gemeint sind, und die psycholinguistische Forschung zeigt, dass es zwar ›generisch‹ verstanden werden kann, dass Versuchspersonen aber zunächst an Männer denken und erst nach einem messbaren Zeitraum zu einer Interpretation kommen, die Frauen mit einschließt.“

Anatol Stefanowitsch, Geschlechtergerechte Sprache und Lebensentscheidungen

🚧 Bloß weil also jemand eine grammatikalisch maskuline Form benutzt und damit angeblich alle meint, heisst das noch lange nicht, dass sich auch wirklich alle als „mit-gemeint“ verstehen.

In einem anderen, ziemlich bekannt gewordenen Artikel von 2011 („Frauen natürlich ausgenommen“) formuliert Stefanowitsch als Schlussfolgerung, es sei …

„… Stand der Forschung, dass ein ›generisches Maskulinum‹ im Deutschen […] aus psycholinguistischer Sicht nicht existiert. Wer das Gegenteil behaupten will, muss sehr gute Belege dafür vorbringen.“

Dieses „nicht existiert“ bezieht sich natürlich auf den Anspruch des „generisch“ Verstanden-werdens einer Ausdrucksweise, die rein grammatikalisch nichts weiter darstellt als ein simples Maskulinum.

Anatol Stefanowitsch ist Sprachwissenschaftler und Professor an der Freien Universität Berlin. Seit 2007 bloggt er über Sprache und macht in Artikeln und Vorträgen immer wieder wissenschaftliche Inhalte einem weiteren Publikumskreis als dem rein akademischen zugänglich, meiner Wenigkeit eingeschlossen.

Übersetzung als Accessibilty-Feature?

Der bisherige Style Guide für WordPress-Übersetzungen ins Deutsche bezieht sich auf den Duden, wenn er empfiehlt:

„Die generische [maskuline] Form umfasst entsprechend den Regeln der deutschen Sprache beide Geschlechter und ist – mangels praktikabler, gleichermaßen verständlicher und stilistisch ansprechender Alternativen – nach wie vor das Mittel der Wahl.“

🔥 Dem ist entgegen zu halten: Generisch maskuline Formen umfassen, dem Stand psycholinguistischer Forschung nach, auf Seiten derjenigen, die eine Botschaft verstehen sollen, eben nicht zwangsläufig alle Geschlechter und sind daher eben nicht für Alle gleich gut verständlich.

Stefan Münz, Gründer von SelfHTML, hat Barrierefreiheit im Jahr 2005 so definiert (das Zitat tauchte in der Zeitschrift Internet Intern auf, eine Online-Referenz ist mir leider nicht bekannt):

„Barrierefrei ist, was in den Köpfen der Menschen so ankommt, wie es gemeint ist.“

Genau dies scheint bei einem „generisch“ gemeinten Maskulinum, den oben zusammengefassten Forschungsergebnissen zufolge, nicht unbedingt der Fall zu sein.

👉🏼 Folgen wir Münz’ Interpretation von Barrierefreiheit, bildet das generische Maskulinum eine potenzielle Verständnisbarriere im User Interface von WordPress. Damit widerspricht es der WordPress Philosophy in einigen wichtigen Punkten, von denen einer ganz besonders auffallen muss: „Design for the Majority“.

Warum Core?

Die auf wordpress.org formulierte Interpretation des Prinzips „Design for the Majority“ geht darauf ein, dass WordPress auch für Menschen ohne spezielle technische Fachkenntnisse leicht zu nutzen sein sollte.

Für die „untechnische Mehrheit“ zu designen muss aber auch bedeuten, ein User Interface zu schaffen, in dem Menschen sich möglichst leicht zurecht finden. Die Zugänglichkeit eines UI ist keine rein technische Frage. Sie fängt mit Sprache an und damit, wie klar und verständlich die Botschaften des UI in den Köpfen der Menschen ankommen, die sie verstehen sollen.

Lokalisierung bildet eine kritische Schnittstelle zwischen Mensch und Software. Eine Übersetzung sollte Verständnisbarrieren abbauen – und nicht neue, sprachlich bedingte Hürden schaffen.

Daher haben „generisch“ maskuline Formulierungen, unserer Auffassung nach, in der offiziellen deutschen Übersetzung für WordPress nichts zu suchen und gehören durch offene, leichter verständlicher Formulierungen ersetzt.

Warum jetzt? Dürfen wir das?

Eins muss ganz klar gesagt werden: Wir sind weit davon entfernt, etwas „Revolutionäres“ oder „Pionierhaftes“ vorzuschlagen.

Eine (zufällige) Auswahl von Broschüren zu geschlechter-gerechter Sprache, herausgegeben von Stadtverwaltungen, Ämtern, Universitäten und dergleichen findet sich z.B. bei Geschickt Gendern: http://geschicktgendern.de/links/

Solche Broschüren und ihre Veröffentlichungsdaten zeigen auf, wie normal die Verwendung geschlechter-gerechter Sprache im öffentlichen Raum eigentlich schon ist.

Ein „hakeliger“ Punkt scheint allgemein, genau wie in der bisherigen Diskussion zu diesem Projekt, die Frage nach Beidnennung oder verkürzter Endung mit Schrägstrich, Binnen-I, Gender-Gap, oder -Star zu sein. Eine einheitliche Vorgehensweise gibt es nicht, fast überall wird zur Vermeidung solcher Endungen durch alternative Formulierungen geraten. Dieser Empfehlung folgt, wie oben gezeigt, auch die Stringintelligenz-Übersetzung – bisher zu 99%.

Meine persönliche Meinung: Ob wir die Übersetzung einfach ändern „dürfen“, kann überhaupt nicht die Frage sein. Wir sollten, es wird höchste Zeit! Und weil wir sollten und gleichzeitig können, müssen wir auch.

Prominente Änderungen an der Übersetzung gab es in der Vergangenheit bereits, etwa die Ersetzung von „Artikel“ durch „Beitrag“, oder von „Seiten“ durch „Sites“ bzw. „Websites“ (in Multisite). Solche Änderungen wurden bisher innerhalb des Polyglots-Teams vorgeschlagen, diskutiert und nach bestem Wissen und Gewissen entschieden. Warum sollten die Polyglots also nicht auch über den „Stringintelligenz“-Vorschlag diskutieren und entscheiden?

Zusammenfassung

Das „Stringintelligenz“-Projekt vertritt die Sichtweise, dass WordPress in seiner deutschen Übersetzung Menschen aufgrund ihres Geschlechts kategorisch sprachlich ausgrenzt und damit gegen einige seiner eigenen Prinzipien verstößt.

Mit der Einführung gender-sensibler Sprache möchten wir WordPress in Deutsch in Einklang mit einer im öffentlichen Raum schon lange stattfindenden, von wissenschaftlichen Erkenntnissen untermauerten sprachlichen Entwicklung bringen.

#polyglots #stringintelligenz